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Zur späten Stunde Ich habe gespürt, dass sie eine tol- Wir Kellner
le Persönlichkeit besitzt, eine von
Dank meiner Dreizimmerwoh- Gott geschenkte Kindlichkeit. Letztes Wochenende fand eine
nung besitze ich ein Gästezimmer, Das Ganze dauerte vielleicht 10- Familienfeier statt, auf der ich nur
das ich öfters der Gemeinde zu 20 min, nicht länger. wenige kannte. Dazu wirkte der
Verfügung stelle. So auch für die- Partykeller auch recht muffig. So
ses Wochenende. Eine Frau aus Astrid flüchtete ich mich nach draußen.
dem Ausland war angekündigt. Nicht das erste Mal an diesem
Da ich an diesem Abend, an dem Abend.
sie gegen 22 Uhr kommen sollte, Mehr als ein Autogramm Eine Frau saß auf der Eingangs-
Gäste hatte, hatte ich mir vorge- treppe, rauchend.
nommen, sie nur kurz zu begrü- Musikhören, Lospreismusik, das Ich setzte mich zu ihr.
ßen und ihr schnell das Zimmer gefällt mir, tut mir gut.
zu zeigen. Wobei ich zugebe, dass Von einem Musikerehepaar ge- Wie sie denn mit den Festgästen
mir dies auch angenehmer ist, als noss ich schon seit Jahren einige verbunden sei, war meine Ein-
mich auf neue Menschen einzu- CDs, die ich mir gerne anhörte. stiegsfrage.
lassen. Nun gaben sie in meiner Nähe Sie sei eine der Bedienungen, er-
ein Konzert, das ich „natürlich“ widerte sie.
Sie kam noch später als angekün- besuchte. Wie lange Sie denn schon hier ar-
digt. Ich begrüßte sie nur kurz Ich kann mich gut erinnern, dass beite?
und wollte schon ins Gästezim- ich von einem Lied besonders be- 10 Jahre, davor habe sie einige an-
mer gehen, als ich einfach stehen rührt wurde. dere Stellen gehabt, aber diese hier
bleiben musste. Vor dem Konzert hatte ich mir schätzte sie am meisten, weil nur
Da stand vor mir eine Person, die eines ihrer Liederbücher gekauft Festgesellschaften kommen, die
etwas ausstrahlte und die gleich und nach dem Konzert, als ich die immer gut aufgelegt seien.
ansetzte, zu erzählen. Zuerst von Sängerin sah, raffte ich mich auf,
der Reise - auf angenehme Weise sie darin um ein Autogramm zu Ich erzählte ihr, dass ich in jungen
- und dann von sich, ohne auf- bitten. Sie war ganz offen, und ich Jahren auch kellnernd unterwegs
dringlich zu wirken. erzählte ihr, wie gut mir das Kon- gewesen war, mir das auf meine
zert getan hat. Ich wagte zu fragen, alten Tage auch wieder mal vor-
Ich mag das, wenn man nichts fra- ob ihr Mann auch noch käme, stellen könnte. Auch erwähnte
gen muss, wenn Gespräche nicht wegen einem Autogramm: Und ich, was ich geschätzt habe an die-
so zäh sind. so geschah es dann auch, dass ich ser Arbeit, was nicht. Menschen
Sie ging wohl einfach davon aus, mit den beiden Musikern, die ich bedienen, sei für mich Menschen
dass mich das alles interessie- seit Jahren aus der Ferne „verehre“ dienen.
ren würde. Womit sie eigentlich ganz locker zusammenstand. Nun fragte sie zurück, was ich
Recht hatte. denn beruflich mache, usw.
Sie war Missionarin und erinnerte Wenn ich heute selber Lieder aus Wir hatten zu tanzen begonnen.
mich an eine andere Person, die diesem Buch auf der Gitarre spie- Wir haben nichts Sensationelles
ich zwar nur vom Erzählen kann- le, dann erfreut es mich immer, besprochen, aber das Gespräch
te, die ich trotzdem bewunderte. auf den ersten Seiten diese Wid- war leicht, obwohl wir in unserer
Meine Gäste saßen auch dabei, mungen zu lesen. Lebensführung weit auseinander
denn sie war einfach ins Wohn- lagen. Die wenigen Gemeinsam-
zimmer getreten, aber wie gesagt, Helga keiten hatten uns verbunden.
das wirkte nicht aufdringlich.
George
Heute würde ich sagen, mein Bei-
trag war, dass ich mir Zeit genom-
men habe.
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