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Selbstsicher,




                                            ja, aber lauert da



                                            nicht der Stolz!









        Man gestatte mir eine kurze         und gefährdet auch nicht die zen-   viel verlangt. Je mehr einem Men-
        Rechtfertigung  einer  christlichen   trale  christliche Tugend  der  De-  schen anvertraut wird, desto mehr
        Selbstsicherheit, eines Selbstver-  mut.                                wird von ihm gefordert«, Lukas
        trauens, ohne mich nur auf Paulus   Im Gegenteil, wir bekommen          12,48)!
        zu berufen, der die Demut hatte,    Mut zum Dienen, Diene-Mut.          Kapiert? Nein?
        sich selbst als Vorbild anzubieten.  Ein gesundes Selbstvertrauen hilft
        »Darauf kannst du stolz sein!« Ob   nämlich, Herausforderungen ein-     Ein Beispiel:
        diese Bemerkung einem Kind gilt     schätzen zu können, sich einzulas-  Stellen wir uns vor, Sie sind ein
        oder uns als Erwachsenen, wie ste-  sen,  sich  einzubringen  oder  sich   hervorragender Fußballer  und
        hen wir dazu?                       abzugrenzen,  Lernprozesse  und     spielen weit unter Ihrem Niveau in
        Reagieren  wir  mit  Freude  oder   die Hilfe anderer als nötig anzu-   einer Mannschaft in einer unteren
        eher mit Unbehagen und Unsi-        nehmen. Dabei empfangen wir         Liga. Auf Ihre Leistung dort sind
        cherheit?                           eine Gelassenheit und Sicherheit,   Sie höchstwahrscheinlich stolz, ob
                                            die anderen und uns selbst guttun.  Sie wollen oder nicht. Spielen Sie
        Tatsächlich wurde der Stolz schon   Wenn wir wahrnehmen, dass wir       aber in der Liga, die Ihrem fußbal-
        vom  Kirchenvater  Augustinus       etwas Besonderes geleistet haben    lerischen Können eher entspricht,
        (354–430) als  Wurzelsünde vor-     oder uns dies sogar dauerhaft       gelten dort zugleich andere Maß-
        geschlagen. Er betrachtete die      gelingt, sind zwei Bewertungen      stäbe. Sie können sich zwar wei-
        Hybris, den Hochmut, den Wil-       wichtig, um nicht in Stolz, Selbst-  terhin als einen hervorragenden
        len des Menschen, mehr sein zu      überschätzung oder Unabhängig-      Fußballspieler  betrachten.  Dabei
        wollen, als er ist, sich selbst in eine   keit von Gott und anderen abzu-  ist die Gefahr, stolz zu werden,
        gottgleiche Position zu erheben,    gleiten:                            jedoch eher gering, denn Sie mer-
        als Wurzel des Sündenfalls.                                             ken bei jedem Spiel, wie viele Feh-
        Der evangelische Theologe Karl      1.  Wir wissen und danken im-       ler Sie machen, weil andere besser
        Barth (1886–1968) sagte: »Des       mer wieder dafür, dass dies ein     sind oder Ihre Tagesform einmal
        Menschen  Sünde  ist  des  Men-     Geschenk ist (manche nennen es      zu wünschen übriglässt.
        schen Hochmut.« Wahrscheinlich      auch Gnade!), nämlich das Ge-       Wenn wir etwas gut können,
        liegt in diesen Positionierungen    schenk der Lebensumstände, in       dann werden wir auch mit ande-
        die  Wurzel unseres Unbehagens      denen wir aufgewachsen sind und     ren Maßstäben gemessen. Und
        und unserer Unsicherheit ...        leben, und das Wirken des Heili-    mit der Zeit lernen wir, dass all
        Aber will Gott, dass wir Menschen   gen Geistes. Hinter allem steht die   das, was wir können, nicht mehr
        sind, die sich selbst nichts zutrau-  Liebe Gottes.                     ist als die zwei Brote und die paar
        en oder immer nur »mit dem Zei-                                         Fische, die Jesus in die Hand
        gefinger nach oben zeigen«, um      2.  Wir rücken in eine »höhere      nahm, als er Tausende speiste.
        ja Gott alleine die Ehre zu geben?   Liga« auf: Nun gelten die Maßstä-
        Nein, eine gesunde Selbstachtung    be dieser Liga (»Wem viel gegeben
        ist nicht mit Stolz zu verwechseln   worden ist, von dem wird auch



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